Sammelband der Schaumburger Landschaft und des LWL-Instituts für westfälische Regionalgeschichte beleuchtet die Bedeutung von Kurorten in der Region vom 18. bis zum 21. Jahrhundert.

Gesundheit, Unterhaltung, Erholung: Kurorte waren und sind seit dem 18. Jahrhundert wichtige gesellschaftliche Treffpunkte. In Kurorten wie Bad Nenndorf, Bad Eilsen, Bad Meinberg oder Baden-Baden begegneten sich seit dem 18. Jahrhundert Vorstellungen von Krankheit und Gesundheit, von Exklusion und Inklusion, Wandel und Beharrungskraft, Freizeit und Arbeit, Luxus und Austerität. Bis heute sind Kurorte in ihrer jeweiligen Region wichtige Wirtschaftsfaktoren, Marker einer wechselvollen Tourismusgeschichte und Orte politischer Auseinandersetzung. Der Tagungsband nimmt die gesellschaftlichen Voraussetzungen und Folgen dieser Geschichte in den Blick: Wie veränderten Gesundheitskonzepte und politische Bedingungen die Kurorte? Welche sozialen Deutungen wurden mit ihnen verknüpft? Wie strahlten sie auf ihr Umfeld aus? Welche Gruppen nahmen am Kurleben teil? Worin bestanden dessen Schattenseiten? Diese und weitere Fragen werden anhand ausgewählter Fallstudien aus Schaumburg, Westfalen, Lippe und weiteren Regionen in Deutschland und Europa untersucht.

Der Sammelband präsentiert in 18 Beiträgen die Ergebnisse der internationalen Tagung, die die Schaumburger Landschaft in Kooperation mit dem LWL-Institut für westfälische Regionalgeschichte, dem Historischen Seminar der Leibniz Universität Hannover und dem Niedersächsischen Landesarchiv (NLA), Abteilung Bückeburg im September 2022 in der Wandelhalle in Bad Nenndorf organisiert hatte.

Das Buch zeigt, wie sehr Kurorte seit dem 18. Jahrhundert in ganz Europa vor allem ländliche Landschaften prägen. Mit ihren Kurparks und häufig klassizistischen Kurgebäuden verbinden sie Natur und Kultur und stehen für Urbanität und Repräsentativität im ländlichen Raum. Ein weiteres Ergebnis des Bandes ist die hohe wirtschaftliche Bedeutung von Kurorten. Kurorte waren und sind wichtige regionale Wirtschaftsstandorte – so auch im Schaumburger Land, in Lippe und in Westfalen. Sie brachten Wirtschaftskraft in die Region und veränderten damit deren Image. Ebenso prägend für Kurorte sind zeitspezifische gesellschaftliche Vorstellungen von Gesundheit und Gesundheitspolitik. Mehrere Beiträge des Bandes machen deutlich, wie stark sich Kurorte insbesondere im 20. Jahrhundert immer wieder wechselnden politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Konstellationen anpassen mussten. Bis heute stehen sie im Spannungsfeld von Rehabilitation und Prävention, Wellness und Tourismus und damit unter ständigem Veränderungsdruck. Damit gingen erhebliche soziale und gesellschaftliche Veränderungen vor Ort einher, die sich auf die medialen Repräsentationen der Kurorte ebenso auswirkten wie auf das regionale und lokale Selbstverständnis. Ein zentrales Ergebnis des Bandes ist zudem der Blick hinter die Kulissen: Denn Kurorte stehen nicht nur für Glanz und Glamour. Sie sind vielmehr als soziale Kaleidoskope anzusehen, weil hier Menschen aus ganz verschiedenen sozialen Schichten zusammentrafen und -treffen. Dies betrifft nicht nur die Kurgäste, sondern in besonderem Maße auch die sogenannte „Hinterbühne“ der Kurorte, also jene Menschen, die im Kur-Alltag für diverse Arbeitsbereiche zuständig sind – vom Badearzt bis hin zur Küchenhilfe im Krankenhaus. Inklusionen, aber auch Exklusionen sind daher ebenfallsein wichtiges Thema des Bandes, das u.a. anhand des Bäderantisemitismus in der NS-Zeit dargestellt wird.

Kurz gesagt zeigt das Buch eindrucksvoll, dass Kurorte als Arenen des gesellschaftlichen Wandels in der Moderne zu verstehen sind. Die Nachwirkungen dieses Wandels, auch das machen die Autorinnen und Autoren des Bandes deutlich, beschäftigen uns noch heute.

Lu Seegers/Matthias Frese/Malte Thießen (Hg.), Kurorte in der Region. Gesellschaftliche Praxis, kulturelle Repräsentationen und Gesundheitskonzepte vom 18. bis 21. Jahrhundert (Kulturlandschaft Schaumburg; Bd. 29), Göttingen 2024, 430 S., 49 z.T. farb. Abb., geb., ISBN 978-3-8353-5564-4, 39 €.